Ein mysteriöser Tod in einem Berliner Hotel, ein in der
Nazizeit verschollenes Van Gogh-Gemälde und ein zwielichtiger, argentinischer
Fotograf. Was anfangs noch nach einer lokalen Ermittlung aussieht, entwickelt
sich für die Berliner Kommissarin Verena Mayer-Galotti schnell zu einer
internationalen Affäre. Beutekunst in der Nazizeit – das ist das Thema unseres neu
erschienen Kriminalromans „Rattenlinie Bariloche“ , den ich zusammen mit Doris
Bewernitz und Annett Heibel geschrieben habe..
Leseprobe
Konrad war
aufgeregt. Sein kostbares Bild hatte er, wie der Käufer ihm geraten hatte, in
einem Snowboardkoffer verstaut. Das Personal am Flugschalter nahm das
Sportgepäck ohne viel Aufhebens entgegen.
Auf dem Flug
versuchte Konrad seine Nervosität in Bier zu ertränken. Der Gedanke, dass
sein millionenschweres Bild unversichert im Cargobereich mitflog, ließ seinen Adrenalinpegel beharrlich höher steigen. Zusätzlich wurde ihm, was den Handel
mit diesem ominösen Anrufer betraf, immer mulmiger zumute. Jedes Mal, wenn er
die Augen schloss, hörte er das Inhalieren des Zigarettenrauchs und das heisere
Lachen des Mannes am Telefon.
Nach 22
Stunden Flugzeit und zwei Zwischenlandungen in Buenos Aires und Paris kam er
erschöpft in Toulouse an. Durch ein Fenster im Wartebereich
beobachtete er angespannt, wie seine Snowboard-Verpackung verladen wurde.
In diesem
Moment hätte er gern Röntgenaugen gehabt, um feststellen zu können, ob das Bild
sich tatsächlich noch darin befand. Was, wenn es längst entfernt oder
vertauscht war?
Seine Angst
steigerte sich, als er mit ansehen musste, wie der Koffer unsanft auf einen
Rollcontainer geworfen wurde. Worauf hatte er sich nur eingelassen? Der Mann
wusste über jeden seiner Schritte Bescheid, er dagegen wusste gar nichts von
ihm! Horrorszenarien stiegen vor ihm auf: Ein leerer Snowboard-koffer … Ein
Mann mit Knüppel, der ihn beim Verlassen des Flughafens zusammenschlägt. Seine
Leiche im Straßengraben … Nervös wandte er sich vom Fenster ab und versuchte, sich mit dem
Gedanken an das Geld, das er bereits erhalten hatte, wieder zu beruhigen. Niemand
würde doch eine Million an jemanden bezahlen, den er umbringen will.
Eine Stunde
später brachte ihn ein kleineres Flugzeug sicher nach Tarascon.
Am dortigen
Flughafen bekam er erstaunlich schnell sein Gepäck ausgehändigt. Sein Herz
schlug bis zum Hals, als er es entgegennahm. Er widerstand der Versuchung, die
Sportausrüstung sofort zu öffnen. Eilig verließ er das Flughafengebäude.
Auf dem
Vorplatz stand ein Mann in Chauffeuruniform.
„Darf ich Sie
bitten, mir zu folgen, Herr Bessi?“, fragte er höflich, als Konrad sich ihm
näherte.
„Woher wissen
Sie, dass ich Konrad Bessi bin?“, hätte dieser am liebsten zurück gefragt,
unterließ es aber. Er nickte nur und stieg in den Bentley.
Der Chauffeur lenkte das Auto durch eine kleine, beschauliche Stadt. An
den Häusern rankten Kletterrosen empor. Konrad war fasziniert von der
Schönheit. Alles würde gut werden. Diese Gegend war ja völlig harmlos. Ein paar
Cafés, ein alter Springbrunnen, ein Antiquitäten-laden zogen vorbei. Entspannt
lehnte er sich in das weiche Lederpolster.
Kurz nachdem sie das Städtchen verlassen
hatten, bemerkte er ein Schloss auf einer Anhöhe, das sich wie eine gotische
Trutzburg ausnahm. Sie fuhren direkt darauf zu. Hatte der Anrufer nicht von
einem Schloss gesprochen?
„Fahren wir zu
dem Schloss dort?“, fragte Konrad den Fahrer.
„Wir sind
gleich da“, entgegnete dieser kurz.
War es der
plötzlich so kalte Unterton in der Stimme des Chauffeurs, der ihm sofort wieder
Angst einjagte? Konrad sah sich nervös um. Sie fuhren eine einsame Landstraße
entlang. Rechts und links Felder und Wälder. Kein Mensch war zu sehen, kein
Auto überholte sie oder kam ihnen entgegen. Er fühlte sich schrecklich allein
gelassen.
„Wie heißt denn der Mann, der dort wohnt?“, fragte er, um sich zu
beruhigen.
Doch der
Chauffeur reagierte nicht mehr.
Schnell
näherte sich der Bentley dem Burgschloss mit den vier Türmen an den Ecken, die
durch hohe Mauern verbunden waren. Im ersten Stockwerk sah man Schießscharten.
Der Eingang war durch ein schweres Rolltor verschlossen, das sich jedoch sofort
öffnete, als das Auto sich ihm näherte. Sie
hielten direkt vor dem Portal.
Mit weichen
Knien folgte Konrad dem Chauffeur ins Haus. Dieser führte ihn in eine
Bibliothek und verschwand augenblicklich.
Bedrückt blieb
Konrad zurück und stellte seine beiden Koffer ab. Der gewaltige, holzgetäfelte
Raum strahlte Noblesse aus. Alle Wände waren mit dunklen Eichenregalen bedeckt,
unterbrochen nur von der Tür und der Fensterfront. Die Regale reichten vom
Fußboden bis zur Decke, und waren lückenlos mit alten Büchern gefüllt. Als
Konrad sich einmal zur Hälfte um seine eigene Achse gedreht hatte, entdeckte er
etwas, das ihm einen Schock versetz
te.
An einer Wand
gab es eine großzügige Aussparung in einem der Regale.
Und dort waren sie: die anderen drei Bilder Vincent Van Goghs, die im
Titel den Namen Tarascon trugen. Nur sein Bild, der „Maler auf dem Weg nach
Tarascon“ fehlte, um das Ambiente vollständig zu machen.
Ungläubig ging
Konrad auf die Bilder zu und versuchte zu begreifen, was das bedeuten mochte.
Doch da öffnete sich die Tür und es erschien ein Mann. Er war ganz in weiß
gekleidet, trug weiße Handschuhe und hatte eine chinesische Drachenmaske vor
dem Gesicht. Der Mann kam auf ihn zu.
Er war hager,
und an seinem steifen Gang sah man, dass er alt war. In der rechten Hand hielt
er einen Spazierstock aus dunklem Holz, dessen oberes Ende ein Drachenkopf aus
Elfenbein bildete.
Copyright: Doris Bewernitz, Julia Christ, Annett Heibel
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