Dienstag, 10. Dezember 2013

Berlin und Beutekunst : Rattenlinie Bariloche


Ein mysteriöser Tod in einem Berliner Hotel, ein in der Nazizeit verschollenes Van Gogh-Gemälde und ein zwielichtiger, argentinischer Fotograf. Was anfangs noch nach einer lokalen Ermittlung aussieht, entwickelt sich für die Berliner Kommissarin Verena Mayer-Galotti schnell zu einer internationalen Affäre. Beutekunst in der Nazizeit – das ist das Thema unseres neu erschienen Kriminalromans „Rattenlinie Bariloche“ , den ich zusammen mit Doris Bewernitz und Annett Heibel geschrieben habe..




Leseprobe
 
Konrad war aufgeregt. Sein kostbares Bild hatte er, wie der Käufer ihm geraten hatte, in einem Snowboardkoffer verstaut. Das Personal am Flugschalter nahm das Sportgepäck ohne viel Aufhebens entgegen. 

Auf dem Flug versuchte Konrad seine Nervosität in Bier zu ertränken. Der Gedanke, dass sein millionenschweres Bild unversichert im Cargobereich mitflog, ließ seinen Adrenalinpegel beharrlich höher steigen. Zusätzlich wurde ihm, was den Handel mit diesem ominösen Anrufer betraf, immer mulmiger zumute. Jedes Mal, wenn er die Augen schloss, hörte er das Inhalieren des Zigarettenrauchs und das heisere Lachen des Mannes am Telefon. 

Nach 22 Stunden Flugzeit und zwei Zwischenlandungen in Buenos Aires und Paris kam er erschöpft in Toulouse an. Durch ein Fenster im Wartebereich beobachtete er angespannt, wie seine Snowboard-Verpackung verladen wurde.
In diesem Moment hätte er gern Röntgenaugen gehabt, um feststellen zu können, ob das Bild sich tatsächlich noch darin befand. Was, wenn es längst entfernt oder vertauscht war? 

Seine Angst steigerte sich, als er mit ansehen musste, wie der Koffer unsanft auf einen Rollcontainer geworfen wurde. Worauf hatte er sich nur eingelassen? Der Mann wusste über jeden seiner Schritte Bescheid, er dagegen wusste gar nichts von ihm! Horrorszenarien stiegen vor ihm auf: Ein leerer Snowboard-koffer … Ein Mann mit Knüppel, der ihn beim Verlassen des Flughafens zusammenschlägt. Seine Leiche im Straßengraben …  Nervös wandte er sich vom Fenster ab und versuchte, sich mit dem Gedanken an das Geld, das er bereits erhalten hatte, wieder zu beruhigen. Niemand würde doch eine Million an jemanden bezahlen, den er umbringen will. 
Eine Stunde später brachte ihn ein kleineres Flugzeug sicher nach Tarascon. 

Am dortigen Flughafen bekam er erstaunlich schnell sein Gepäck ausgehändigt. Sein Herz schlug bis zum Hals, als er es entgegennahm. Er widerstand der Versuchung, die Sportausrüstung sofort zu öffnen. Eilig verließ er das Flughafengebäude.
Auf dem Vorplatz stand ein Mann in Chauffeuruniform.
„Darf ich Sie bitten, mir zu folgen, Herr Bessi?“, fragte er höflich, als Konrad sich ihm näherte.
„Woher wissen Sie, dass ich Konrad Bessi bin?“, hätte dieser am liebsten zurück gefragt, unterließ es aber. Er nickte nur und stieg in den Bentley.

Der Chauffeur lenkte das Auto durch eine kleine, beschauliche Stadt. An den Häusern rankten Kletterrosen empor. Konrad war fasziniert von der Schönheit. Alles würde gut werden. Diese Gegend war ja völlig harmlos. Ein paar Cafés, ein alter Springbrunnen, ein Antiquitäten-laden zogen vorbei. Entspannt lehnte er sich in das weiche Lederpolster.
 Kurz nachdem sie das Städtchen verlassen hatten, bemerkte er ein Schloss auf einer Anhöhe, das sich wie eine gotische Trutzburg ausnahm. Sie fuhren direkt darauf zu. Hatte der Anrufer nicht von einem Schloss gesprochen?
„Fahren wir zu dem Schloss dort?“, fragte Konrad den Fahrer.
„Wir sind gleich da“, entgegnete dieser kurz.
War es der plötzlich so kalte Unterton in der Stimme des Chauffeurs, der ihm sofort wieder Angst einjagte? Konrad sah sich nervös um. Sie fuhren eine einsame Landstraße entlang. Rechts und links Felder und Wälder. Kein Mensch war zu sehen, kein Auto überholte sie oder kam ihnen entgegen. Er fühlte sich schrecklich allein gelassen.
„Wie heißt denn der Mann, der dort wohnt?“, fragte er, um sich zu beruhigen.
Doch der Chauffeur reagierte nicht mehr. 

Schnell näherte sich der Bentley dem Burgschloss mit den vier Türmen an den Ecken, die durch hohe Mauern verbunden waren. Im ersten Stockwerk sah man Schießscharten. Der Eingang war durch ein schweres Rolltor verschlossen, das sich jedoch sofort öffnete, als das Auto sich ihm näherte.  Sie hielten direkt vor dem Portal.
Mit weichen Knien folgte Konrad dem Chauffeur ins Haus. Dieser führte ihn in eine Bibliothek und verschwand augenblicklich. 
 
Bedrückt blieb Konrad zurück und stellte seine beiden Koffer ab. Der gewaltige, holzgetäfelte Raum strahlte Noblesse aus. Alle Wände waren mit dunklen Eichenregalen bedeckt, unterbrochen nur von der Tür und der Fensterfront. Die Regale reichten vom Fußboden bis zur Decke, und waren lückenlos mit alten Büchern gefüllt. Als Konrad sich einmal zur Hälfte um seine eigene Achse gedreht hatte, entdeckte er etwas, das ihm einen Schock versetz te.  

An einer Wand gab es eine großzügige Aussparung in einem der Regale.
Und dort waren sie: die anderen drei  Bilder Vincent Van Goghs, die im Titel den Namen Tarascon trugen. Nur sein Bild, der „Maler auf dem Weg nach Tarascon“ fehlte, um das Ambiente vollständig zu machen. 

Ungläubig ging Konrad auf die Bilder zu und versuchte zu begreifen, was das bedeuten mochte. Doch da öffnete sich die Tür und es erschien ein Mann. Er war ganz in weiß gekleidet, trug weiße Handschuhe und hatte eine chinesische Drachenmaske vor dem Gesicht. Der Mann kam auf ihn zu.
Er war hager, und an seinem steifen Gang sah man, dass er alt war. In der rechten Hand hielt er einen Spazierstock aus dunklem Holz, dessen oberes Ende ein Drachenkopf aus Elfenbein bildete.


Copyright: Doris Bewernitz, Julia Christ, Annett Heibel