Mittwoch, 20. Oktober 2010

Können deutsche Männer flirten?

Mit Tour de Franz hat die Französin Cécile Calla ein amüsantes Buch über die Eigenarten der Deutschen geschrieben. 

Von Julia Christ




Wer als Frau dieses Buch liest, wird die Welt hinterher mit anderen Augen sehen. Zum Beispiel die Berliner Bauarbeiter. Man wird plötzlich überlegen, ob man vielleicht lieber an Baustellen flanieren als auf Partys gehen soll, um Prince Charming zu begegnen. Man wird plötzlich genauer hinhören, wenn die Freundin der Freundin einen neuen Lover hat, der wieder einmal entweder Spanier, Franzose oder Algerier ist. Alles, nur kein Deutscher.

Man wird Auswanderungs-, zumindest aber Reisepläne schmieden. Man wird bei der nächsten neuen Verabredung mit einem Landsmann von vorne herein schon auf Stand-by-Modus schalten und sich auf den Beginn einer platonischen Freundschaft freuen. Alles andere wird sowieso nicht passieren.


Der deutsche Mann: quadratisch, praktisch, gut

Quadratisch, praktisch, gut – wird man von den deutschen Männern denken. Und dabei ein bisschen gähnen. Man hat es schon immer geahnt. Jetzt hat man es schwarz auf weiß: Die deutschen Männer sind wenig prickelnd und kaum charmant, dafür aber respektvoll. Typen, mit denen man Pferde stehlen kann. Wer aber flirten oder sich gar als Frau fühlen will, sollte sich die Söhne anderer Mütter suchen.

Diesen Eindruck bekommt man, wenn man das Buch der französischen Journalistin Cécile Calla Tour de Franz – Mein Rendevous mit den Deutschen liest.


Das, was die in Berlin lebende Französin über Deutschland und die Deutschen schreibt, liest sich im Kapitel Flirten etwa so:

„Mit den Blicken der deutschen Männer fangen die Probleme an. Gucken sie überhaupt, dann betont unauffällig. Daran ändert auch ein kurzer Rock oder ein figurbetontes Kleid nichts. Niemand pfeift einem hinterher, macht Komplimente oder einen anderen Annäherungsversuch. Manchmal denke ich, dass ich nackt durch die Straßen laufen müsste, damit jemand reagiert. Inzwischen bin ich so weit, dass ich ganz aus dem Häuschen bin, wenn mich ein Bauarbeiter ein bisschen intensiver ansieht.“

Das also zu den Bauarbeitern. Doch die gebürtige Pariserin  schreibt nicht nur über Liebe, Männer und Frauen, sondern auch über die ein oder andere Eigenart der Deutschen. So etwa über ihre Passion für Bioläden, Italien und das Tatort-Gucken am Sonntagabend. Auch die Differenzen von Mode und Kochkunst beschreibt sie amüsant. Ja, selbst den Karneval in Köln mit dem Blick von außen knöpft sich Cécile Calla vor.

Grautöne des deutschen Alltags

Das meiste liest sich kurzweilig, leichtfüßig und mit einem Augenzwinkern. Aber je weniger die Berlin-Korrespondentin der französischen Tageszeitung Le Monde von Liebe, Flirt und dem Techtelmechtel der Geschlechter erzählt, je mehr sie Themen wie Spargel, Sparsamkeit und das Steuersystem anschneidet, desto weniger will man davon wissen. Schließlich kennt man Grautöne des deutschen Alltags selbst schon viel zu genau. Das will man nicht auch noch lesen müssen.

Unterm Strich aber macht es Spaß, in diesem Buch zu schmökern. Vor allem weckt es Fernweh. Und Neugier auf eine Lebensart, die man westlich und nicht östlich des Rheins findet.

 
Junge Frauen im Pariser Stadtteil Montmatre (2)



 Interview

Ein sonniger Mittag in Berlin, Prenzlauer Berg. Wir treffen Cécile Calla in einem italienischen Restaurant. Sie ist mit dem Fahrrad gekommen, in Jeans, einem sportlichen Blazer und Turnschuhen. Darin sieht sie kaum parisienne,  dafür aber sehr berlinerisch aus.


Frage: Madame Calla, Sie schreiben in Ihrem Buch auch über den deutschen Mann und sein Flirtverhalten. Können deutsche Männer überhaupt flirten?


Hmm (lacht)… nicht so richtig, oder?! Als Frau hat man in Berlin ein anderes Gefühl, wenn man über die Straßen geht. In fünf Jahren bin ich auf der Straße oder in U-Bahn nur dreimal von einem Mann angesprochen worden. Hier habe ich oft das Gefühl, in einer asexuellen Welt zu leben. In Frankreich hingegen ist Flirten ein Volkssport. Es wird geflirtet, was das Zeug hält - überall. Klar ist es manchmal auch anstrengend, aber es macht das Leben aufregender, es macht den Alltag sehr sinnlich. In Frankreich hat eine Frau einen besonderen Bonus. Hier ist sie einfach nur ein Mensch.


Frage: Hat das auch Vorzüge?


Klar. Als Frau fühlt sich als in Berlin ernst genommen. Man ist hier nicht das kleine, beschützenswerte Ding. In dieser Stadt kann man mit kurzem Rock über die Straße gehen, und keinen interessiert das.


Frage: Und wie ist die Berlinerin? Welchen Stil verkörpert sie?


Die Menschen in Berlin sind sehr offen und nonkonformistisch. Das drückt sich auch in der Kleidung aus. Die Menschen und ihr Kleidungsstil sind sehr viel unterschiedlicher, gleichzeitig mehr casual, sportlicher. Die Pariserin hat eher einen einheitlichen Stil: meist schwarz und mit den hohen Absätzen. Die Berlinerin hingegen kombiniert problemlos eine Pyjamahose aus den 70ern mit Stiefeln, einen Wollpulli und einer Lederjacke. Sie hat keine Angst, angeguckt zu werden.


Frage: Wo ist Berlin sehr deutsch und wo ist die Stadt sehr international?


Ich kann nur über die Stadtteile reden, die ich kenne. Da finde ich zum Beispiel Mitte sehr international. Prenzlauer Berg, wo ich wohne, finde ich auch sehr kosmopolitisch. Andererseits entwickelt sich Prenzlauer Berg zunehmend zu einem reichen und spießbürgerlichen Viertel. Die Nachbarn fordern einen auf, wegen der Kinder leiser zu sein. Die Mentalität verändert sich zusehend. Bald ist Prenzlauer Berg wie ein Viertel von München.


Das Interview führte Julia Christ .
Foto (1): Deutscher Bundestag
Foto (2): Julia Christ

Renzension und Interview sind im Tempelhofer Prisma erschienen.

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