Freitag, 12. November 2010

Wortwelten

 Von Julia Christ 




 Neulich habe ich die deutschen Lieblingswörter des amerikanischen Schriftsteller Joey Goebels vorgestellt. Das hat mich auf die Idee gebracht, eine eigene Lieblingsliste zu erstellen. Gesagt, getan. Hier ist die Liste meiner zehn gegenwärtigen Lieblingswörter.


1) Abrakadabra

Dieses Wort ist nicht nur eine Zauberformel, sondern klingt auch schon so. Beschwörend.



2) Alliteration

Schon lautmalerisch lässt sich einiges an Wortbedeutung erahnen.
Die Alliteration kommt aus dem Lateinischen (ad = zu, littera=Buchstabe) und ist eine beliebte literarische Stilfigur. Man spricht von einer Alliteration, wenn die betonten Stammsilben zweier oder mehrerer benachbarter Wörter den gleichen Anfangslaut besitzen. Luther bediente sich dieses rhetorischen Mittels ebenso wie Boulevardjournalisten ("Klinsi killt King Kahn") oder auch die alten Römer ("veni, vidi, vici") und Griechen .

Das Wort Alliteration zergeht auf der Zunge. Es klingt, als sei es Botschafter und Bodyguard in einer Person. Als sei das Land oder die Person, der es vertritt, niemand Geringeres als die Literatur selbst.

Die Alliteration ist eine geschmeidige Verführerin mit viel Esprit. Deshalb gebiert sie oft drollige Wörter:  Wirrwarr, Mischmasch und  Zickzack, das französische micmac, die amerikanische Kinderbuchfigur Bitsy Big Boy Boomeroo oder die Comic-Drillinge Tick, Trick und Track.


3) Augenblick

Ich frage mich immer wieder, was eine kürzere Verweildauer hat: der Augenblick oder der Moment.
Die Dauer eines Augenblickes aber ist vorstellbar, absehbar, abschätzbar. Man weiß, wie lange man in die Gegend blickt, ohne mit den Lidern zu zucken. Die Länge eines Momentes dagegen ist  viel weniger berechenbar. Außerdem ist der Augenblick das poetischere Wort von beiden.




4) Desenrascanço  
 
Es heisst, nur die Deuschen hätten unaussprechliche Wortungetüme. Ellenlange Wörter, bestehend aus zwölf, 14 oder 16 Buchstaben. Von wegen! Auch das portugiesische Desenrascanço ist ein Zungenbrecher, den man nur silbenweise nachsprechen kann. Angeblich gibt es keine gelungene Übersetzung für diesen Begriff. Es bedeutet so etwas wie "sich durchwurschteln" oder "improvisieren". Angeblich wird die bedeutende Rolle der portugiesischen Seefahrt im 16. Jahrhundert auch auf das Desenrascanço zurückgeführt, nämlich auf die Fähigkeit, Schiffsreparaturen auch ohne entsprechendes Handwerkszeug durchführen zu können. Aus der Not eine Tugend machen - vielleicht könnte man es auch so übersetzen. Ein einziges Wort bringt diese sinnvolle Fähigkeit auf den Punkt.


5) Elegie

Was für eine Eleganz doch in diesem, ursprünglich griechischen Wort steckt. Mit welcher Anmut die Zunge den Gaumen berührt, wenn es um ein Klagelied geht.  Ein sehr musikalisches Wort. Ursprüglich wurden eine Elegie auch mit Flötenmusik begleitet. Bonjour belle tristesse.

6) Kleinod

Was für ein unaufdringliches Wort für ein Schmuckstück oder eine Kostbarkeit. Kleinod ist laut Wikipedia ein veraltetes Wort, welches nur noch im übertragenenen Sinn verwendet wird. Ich finde es sehr nostalgisch.



7) L'heure bleue 
 
Die blaue Stunde ist im Sommer am schönsten, der Horizont ist überzogen von einem ganz besonderen Blauton. Es ist die  Stunde, in der die Nacht ist noch nicht ganz vorbei ist, der  Morgen aber bereits angebrochen ist.  Im Deutschen spricht man selten von der blauen Stunde, statt dessen ist eher die Rede vom Morgengrauen. Wie trist, wie trübe. Tatsächlich rührt der Begriff Morgengrauen von der grausigen Erfahrung her, dass Städte oft im dann von den Soldaten angegriffen wurden, wenn die Bewohner noch schliefen, also im Morgengrauen gegen zirka drei Uhr.  Aus der Ferne sah man den Staub der herbeigaloppierenden Pferde. Der war staubgrau.

8) Oxymoron 
Diese rhethorische Figur klingt sehr geheimnisvoll. Sie beschreibt eine Art Paradox. Es ist eine  Formulierung aus zwei gegensätzlichen, einander (scheinbar)  widersprechenden Begriffen. Man denke nur an die Sachliche Romanze von Erich Kästner oder die schwarze Milch von Paul Celan. 

9) Umami 
Das japansiche Umami  旨味 bedeutet gleichsam Perfektion und fünfter Geschmackssinn. Dieser fünfte Geschmackssinn ist jenseits der vier Geschmacksrichtungen von süß, sauer, salzig und bitter. Mit ihm können besonders proteinreiche Nahrungsmittel erschmeckt werden. Katzen zun Beispiel sind große Umami-Gourmets. Sie schmecken Süßes nicht heraus, können aber sehr gut zwischen salzig, bitter, sauer und Umami unterscheiden.

10) Weltschmerz
Was für ein prägnantes Wort, das die die tiefe Traurigkeit über die Unzulänglichkeit der Welt (Wilhelm und Jacob Grimm) beschreibt. Ursprünglich von Jean Paul begründet, ging der Weltschmerz in den Wortschatz der deustschen Romantiker ein.

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